An:
- Vorstand ThyssenKrupp Steel Group
- Vorsitz Betriebsrat ThyssenKrupp Steel Werk Bruckhausen
- IG Metall bei ThyssenKrupp Steel Europe
- Rat der Stadt Duisburg
- Polizei Duisburg
- Bezirksregierung Düsseldorf
- Innenministerium Nordrhein-Westfalen
- Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen
- Landesregierung Nordrhein-Westfalen
- Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund
- Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales
Konsequente Aufklärung des Todes von Refat Süleyman und Abschaffung von Subunternehmen bei ThyssenKrupp-Steel und im gesamten Stahlsektor!
Wir, die bulgarischen Einwohner von Duisburg, unsere Landsleute aus Nordrhein-Westfalen, osteuropäische Arbeitsmigrant*innen, Teile der Gewerkschaften, Aktivist*innen und besorgte Menschen aus verschiedenen Teilen Deutschlands und darüber hinaus, alarmieren hiermit alle zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit über die Umstände, die zum Tod von Refat Süleyman geführt haben. Wir kritisieren auch die fehlende Übernahme von Verantwortung und eine bislang ausbleibende, konsequente Untersuchung der Todesumstände. Die Leiche von Refat Süleyman, einem 26-jährigen türkischstämmigen bulgarischen Staatsbürger, wurde am 17.10.2022 nach einer dreitägigen polizeilichen Durchsuchung auf dem Gelände des ThyssenKrupp-Werks in Bruckhausen gefunden. Refat, der wenige Tage zuvor von einem Subunternehmen als Reinigungskraft eingestellt worden war, wurde am frühen Morgen des 14.10.2022 zu einem anderen Subunternehmen ausgeliehen und verschwand wenig später spurlos.
Die genauen Umstände von Refats Tod sind bis heute ungeklärt. Öffentliche Schilderungen der Polizeibehörden bleiben bislang äußerst vage. Sie deuten zwar auf einen Arbeitsunfall als Todesursache hin, lassen aber wichtige Fragen unbeantwortet, was seine ehemaligen Kolleg*innen und die breite Öffentlichkeit zutiefst beunruhigt. Diese Fragen betreffen v.a. den Arbeitsschutz und die Sicherheitsvorkehrungen bei ThyssenKrupp-Steel, beziehen sich aber auch auf grundlegende Arbeitsrechte und Arbeitsstandards in der Industriereinigung.
Vor kurzem hat die Corona-Pandemie die öffentliche Aufmerksamkeit auf die entsetzlichen Arbeitsbedingungen der meist osteuropäischen Arbeitskräfte in der deutschen Fleischindustrie geworfen. Die Situation im Reinigungs-, Bau- und Logistikgewerbe ist dabei nicht weniger katastrophal. Die Vergabe von Aufträgen an Subunternehmen, die bei ThyssenKrupp-Steel die vorherrschende Form der Beschäftigung von Reinigungskräften ist, ist bekanntermaßen eine der Hauptursachen für ausbeuterische Arbeitsbedingungen, mangelhafte Überwachung von Arbeitsstandards (v.a. da Verträge und Sicherheitsunterweisungen nur auf Deutsch ausgestellt werden) und fehlende Verantwortung. Mehr als ein Drittel der Arbeitsmigrant*innen in Duisburg sind bei Leiharbeitsfirmen oder ausbeuterischen Subunternehmern beschäftigt, die häufig weniger als halb so viel Lohn wie bei einer direkten Beschäftigung auszahlen. Sie bieten darüber hinaus keine Jobsicherheit und zahlen in der Regel keine Sozialversicherungsbeiträge.
Vor allem aber erhöhen die sinkenden Investitionen in den Arbeitsschutz, die zunehmende Flexibilisierung und die sich vertiefende Prekarität in diesem Sektor das Risiko von Arbeitsunfällen und Todesfällen. Zu den berüchtigten Beispielen gehören der Tod eines Arbeiters im ThyssenKrupp-Steel-Werk in Duisburg im Jahr 2004 aber auch die sieben ThyssenKrupp-Fabrikarbeiter, die 2007 in Turin (Italien) bei lebendigem Leib verbrannten. Auch der tödlich verletzte Reparaturarbeiter in ThyssenKrupp Fendorf Anfang dieses Jahres wurde der Öffentlichkeit bekannt. Aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es noch weit mehr als diese bekannten Fälle, die ThyssenKrupp Steel und andere Unternehmen durch die Geheimhaltung von Unfall- und Todesstatistiken vor der Öffentlichkeit verbergen.
Opfer solcher ausbeuterischen Praktiken im Reinigungsgewerbe sowie in anderen Branchen des Dienstleistungs- und Produktionssektors werden zumeist EU-Arbeitnehmer*innen aus Osteuropa, durch deren Freizügigkeit der Bedarf im hyperflexibilisierten Niedriglohnsektor gedeckt wird. EU-Migrant*innen haben nur sehr begrenzten Zugang zu sozialer Sicherung und sind somit großteils von prekären und ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen abhängig. Außerdem gehören viele osteuropäische Migrant*innen ethnisch-kulturellen Minderheiten an und sind somit häufig rassistischen Stigmatisierungen ausgesetzt, die zur Rechtfertigung und Vertiefung ihrer extrem unterprivilegierten Position und systematischen Unterdrückung ihrer arbeits-, sozial- und staatsbürgerlichen Rechte führen.
Auch wenn die genauen Umstände des Todes von Refat bislang nicht bekannt sind, besteht kein Zweifel daran, dass sich die schlechten Arbeitsbedingungen, die sich durch die Einbindung von Subunternehmen noch verstärken, auf die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer*innen massiv auswirken. Konflikte zwischen Arbeiter:innen und Vorgesetzten sind so vorprogrammiert und es wird ein Umfeld geschaffen, in dem Unfällen und Misshandlungen Tür und Tor geöffnet werden. Diese Bedingungen müssen berücksichtigt werden und sind für die Untersuchung dieses tragischen Todesfalls unmittelbar relevant. Die Abschaffung dieser Bedingungen ist ein wichtiger erster Schritt, um sicherere und geschütztere Arbeitsverhältnisse für alle Arbeitnehmer*innen in den ThyssenKrupp-Werken zu gewährleisten.
Dementsprechend stellen wir folgende Forderungen:
(1) Wir fordern, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden, insbesondere die Arbeitsschutzbehörde, das ThyssenKrupp-Werk in Bruckhausen sowie alle anderen ThyssenKrupp-Werke umfassend überprüfen, ob sie ein menschenwürdiges Arbeitsumfeld in der Gebäudereinigung bieten und ob die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen eingehalten werden. Wir fordern, dass Maßnahmen zur Arbeitsinspektion und die Durchsetzung geltender Regeln ggf. durch Sanktionen sichergestellt und effektiver gestaltet werden, um Verantwortlichkeiten klar zu definieren und die Beseitigung bzw. Minimierung von Gesundheitsrisiken für alle Arbeitnehmer*innen zu gewährleisten.
(2) Wir fordern eine umfassende Untersuchung des Geflechts von Subunternehmen, in denen das industrielle Reinigungspersonal von ThyssenKrupp beschäftigt ist. Besonders im Fokus stehen sollen dabei ihre Vertragspraktiken, die theoretisch geforderten Sicherheitsschulungen und Gesundheitskontrollen sowie die Abweichung von formellen und tatsächlichen Arbeitspflichten, die den Beschäftigten auferlegt werden. Insbesondere sollte die Tätigkeit der Subunternehmen Eleman GmbH und OPS GmbH, für die Refat Süleyman tätig war, sowie der Buchen GmbH, der er kurz vor seinem Verschwinden ausgeliehen wurde, sorgfältig überprüft werden. In Anbetracht der Gleichgültigkeit und mangelnden Übernahme von Verantwortung für den Tod von Refat muss die Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen und allen zu ihnen gehörigen und ggf. mit ihnen verbundenen Firmen mit sofortiger Wirkung beendet werden.
(3) Wie das bisherige Ausbleiben von Konsequenzen von dem Tod von Refat Süleyman zeigt, führt der Einsatz von Subunternehmen mit ihren undurchsichtigen Vertragspraxen in der Reinigungsbranche zu einem intransparenten Geflecht von Akteuren. Sie umschiffen Fragen der Arbeitssicherheit und vermeiden effektiv die Haftung und Verantwortungsübernahme für Unfälle und Todesfälle. Daher fordern wir ein Ende der Zusammenarbeit mit Subunternehmern in allen ThyssenKrupp-Werken und die Einstellung von Reinigungs- und anderem Hilfspersonal mit regulären Verträgen, mit sicheren Arbeitszeiten, mit den erforderlichen Sicherheitsschulungen und Gesundheitskontrollen sowie mit garantierten Kranken- und Sozialversicherungsbeiträgen.
Wir, die bulgarischen Einwohner*innen von Duisburg, unsere Landsleute aus Nordrhein-Westfalen, osteuropäische Arbeitsmigrant*innen, Gewerkschaftsvertreter*innen, Aktivist*innen und besorgte Menschen aus verschiedenen Teilen Deutschlands und darüber hinaus haben ihre Entschlossenheit demonstriert, endlich Konsequenzen aus den unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu fordern. Wir werden hartnäckig bleiben, bis die Umstände von Refat Süleymans Tod geklärt sind und die Verantwortlichen zusammen mit den Betroffenen strukturelle Veränderungen umsetzen. Um den Bedingungen, die zu dieser Tragödie geführt haben, ein Ende zu setzen und und weitere Arbeitsunfälle zu verhindern,fordern wir von den zuständigen Arbeitsschutzbehörden, ThyssenKrupp Steel und dem gesamten Stahlsektor Konsequenzen und entschiedenes Handeln. Wir fordern ein Ende des Einsatzes von Subunternehmen in allen Werken von ThyssenKrupp und anderen Stahlproduzenten und die Einstellung aller Hilfskräfte mit regulären Verträgen, die sichere und gesunde Arbeitsbedingungen gewährleisten.